Wie wir das Immunsystem gezielt stärken können (2024)

Für viele Vitaminen und Mineralstoffen gibt es Belege oder zumindest Hinweise auf eine immunstabilisierende Wirkung. Durch gezielte Substituierung lässt sich nicht nur das Immunsystem, sondern auch die Therapie urologischer Krankheiten positiv beeinflussen.

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Für einen Infekt braucht es immer zwei "Partner": Einen Erreger, der über eine ausreichende Infektiosität verfügen muss, und einen Wirt, der für diese Infektion auch bereit sein muss - dessen Immunsystem also geschwächt genug sein muss, dass er den Erreger aus eigener Kraft nicht ausreichend bekämpfen kann. Merkwürdigerweise haben sich Virologen und Immunologen in der öffentlichen Diskussion um die andauernde COVID-19-Pandemie praktisch nicht mit dem Immunsystem und dessen Stärkung beschäftigt. Dabei sind die wissenschaftlichen Beweise für den Nutzen von Nährstoffen für das Immunsystem erdrückend.

Vitamin D - das "Sonnenhormon"

Cholecalciferol aus Nahrung, Supplementen oder in der Haut durch UV-Strahlung gebildet ist das am besten erforschte und für das Immunsystem wichtigste Vitamin. In einem Review wird festgehalten, dass sich Vitamin-D-Rezeptoren auf allen Leukozyten befinden. Vitamin D wirkt daher über das humoralen und das zelluläre Immunsystem. Die Grundlagenforschung bescheinigt dabei dem Vitamin D eine immunmodulierende Wirkung - ein schwaches Immunsystem wird gestärkt, partielle Immunüberreaktionen, etwa Allergien oder Autoimmunkrankheiten werden jedoch herunterreguliert [1].

Vitamin-D-Versorgung - Datenlage

Bereits 2016 hat das Robert-Koch-Institut (RKI) ermittelt, dass 30,2 % aller Bundesbürger einen schweren Vitamin-D-Mangel (< 30 nmol/l) aufweisen. Ein moderater Vitamin-D-Mangel (< 50nmol/l) wurde sogar bei 61,5 % der Studienteilnehmer festgestellt. Manche Labore setzen mittlerweile einen unteren Grenzwert von 75 nmol/l an und viele Vitamin-D-Protagonisten fordern einen Optimalwert von über 100 nmol/l. Letzteres wird unter heutigen Lebens- und Ernährungsbedingungen praktisch von niemandem erreicht (wenn nicht substituiert wird). Der RKI-Bericht differenziert auch noch nach Jahreszeiten, wobei im Winter - also gerade dann, wenn wir wegen der erhöhten Infektgefahr eine gute Vitamin-D-Versorgung benötigen - über 80 % der Bundesbürger einen moderaten und über 50 % einen schweren Vitamin-D-Mangel haben [2]. Diese Mangelzustände sind katastrophal und in Anbetracht der vom RKI selbst erhobenen Zahlen und einer global bedrohlichen Pandemie ist unbegreiflich, wieso das RKI nicht für eine bessere Vitamin-D-Versorgung eintritt.

Folgen von Vitamin-D-Mangel

Eine aktuelle Metaanalyse beschreibt, dass Menschen mit niedrigem Vitamin-D-Spiegel (10-20 nmol/l) rund 86 % mehr Infekte bekommen als Menschen mit einer guten Vitamin-D-Versorgung (60-90 nmol/l) [3]. Eine solche epidemiologische Studie weist auf einen statistischen Zusammenhang hin. Bewiesen wird ein kausaler Zusammenhang aber erst durch interventionelle Studien. Eine Metaanalyse zu Vitamin-D-Gaben ergab, dass in den Vitamin-D-Gruppen durchschnittlich 12 % weniger Infekte auftraten [4]. Die Studien waren allerdings sehr inhomogen - es gab solche mit einer täglichen Dosis von 400-2.000 IE, es gab aber auch Studien mit wöchentlichen oder monatlichen Bolus-Gaben. Eine Subgruppenanalyse ergab 19 % weniger Infekte bei einer täglichen Applikation, während selten verabreichte hohe Dosen mit 3 % weniger Infekten praktisch keine Wirksamkeit zeigten. Tägliche Gaben sind für das Immunsystem also effizienter als die gleiche Dosis selten als Bolus verabreicht. Dies wird leider immer noch oft falsch praktiziert. Ein weiterer, durchaus zu erwartender Effekt: Bei niedrigen Ausgangswerten (< 25 nmol/l) können 42 % der Infekte vermieden werden. Wenn man bedenkt, dass sich im Winter die Hälfte der Bevölkerung auf diesem Level befindet, wird ersichtlich, welches Potenzial hier mit präventiven Gaben bestünde, aber derzeit nicht ausgeschöpft wird.

Urologische Indikationen

Zu Nährstoffen und urologischen Indikationen gibt es nur wenig Daten. In einer Studie jedoch erhielten 389 Männer mit benigner Prostatahyperplasie und rezidivierenden Harnwegsinfekten (HWI) randomisiert nur Tamsulosin oder Tamsulosin mit Vitamin D [5]. Die Inzidenzrate von HWI lag in der Vitamin-D-Gruppe (600 IE täglich) signifikant geringer (4,6 % vs. 13,5 %, Odds-Ratio [OR]: 2,7, p = 0,003). Als "Nebenwirkung" fanden sich unter Vitamin D noch deutlich geringere PSA-Werte (0,16 ng/ml vs. 0,27 ng/ml, p < 0,05). Die Studienautoren folgern, dass Patienten mit Prostatahyperplasie unter Tamsulosin mit zusätzlichen Vitamin-D-Gaben HWI reduzieren können.

In einer Fall-Kontroll-Studie wurden 97 Schwangere mit HWI sowie als Kontrollen 90 schwangere Matches ohne HWI aufgenommen [6]. 85,7 % derjenigen mit HWI hatten einen Vitamin-D-Mangel (definiert als < 50 nmol/l), während nur 52,2 % derjenigen ohne HWI einen Mangel aufwiesen. Die durchschnittlichen Werte wichen auch deutlich voneinander ab (Fälle: 31,8 nmol/l vs. Kontrollen: 65,1 nmol/l, p < 0,001). Die Studienautoren folgern, dass Vitamin-D-Mangel das Risiko für HWI in der Schwangerschaft erhöht.

Randbemerkung: Könnte Vitamin D auch bei COVID-19 nutzen?

In einer Studie wurden die Vitamin-D-Spiegel von COVID-19-Patienten bei stationärer Aufnahme gemessen. Bei einem Vitamin-D-Spiegel < 30 nmol/l wurden deutlich mehr schwere Verläufe und eine erhöhte Mortalität gefunden [7]. Nach Risikofaktor-Adjustierung erhöhte ein Vitamin-D-Spiegel von < 30 nmol/l das Risiko für einen schweren Verlauf auf 1,76 und für Tod sogar auf 2,56! In einer spanischen Klinik erhielten stationär wegen COVID-19 aufgenommene Patienten Vitamin D, die Kontrollgruppe nicht. Beide Gruppen erhielten die bekannte Standardtherapie bei COVID-19 [8]. Mit Vitamin D wurden 2 % (vs. 50 %) der Patienten intensivpflichtig und 0 % (vs. 15 %) starben.

Vitamin C - das "Antioxidationsvitamin"

Vitamin C ist unser wichtigstes Antioxidans im wasserlöslichen Bereich. In der Bevölkerung gilt es in Form der "heißen Zitrone" als Erkältungsmittel par excellence. Dies ist leider nicht gerechtfertigt, da eine große Zitrone gerade einmal rund 100 mg enthält und das Vitamin C in fast kochendem Wasser nahezu vollständig zerstört wird. Die Studienlage bezüglich Infekten ist inkonsistent. Wenn überhaupt Wirkungen erzielt werden, muss man schon im Grammbereich arbeiten. In einer solchen Studie erhielten 168 Testpersonen in zwei Wintermonaten kontrolliert, randomisiert und doppelblind entweder 1 g Vitamin C oder Placebo [9]. Unter Vitamin C kam es zu 26 % weniger Erkältungen und sogar zu 44 % weniger Krankheitstagen (beides mit p < 0,05) als Hinweis auf eine präventive Schutzwirkung von Vitamin C.

Auch im Hinblick auf HWI gibt es eine Studie zu Vitamin C: In einer einfach verblindeten Untersuchung erhielten Schwangere für drei Monate Eisen, Folsäure und 100 mg Vitamin C oder nur Eisen und Folsäure [10]. In der Gruppe ohne Vitamin C kam es bei 29,1 % zu HWI, mit Vitamin C aber nur bei 12,7 % (p < 0,05). Die Studienautoren folgern, dass Vitamin C die Inzidenz von HWI zu senken vermag, insbesondere bei Populationen mit einem hohen Risiko für Bakteriurien.

Vitamin A - das "Schleimhautbarriere-Vitamin"

Retinol, der andere Name für Vitamin A, ist wichtig für die Aufrechterhaltung der Barrierefunktion von Haut und Schleimhaut. Da dies quasi die erste Grenzschicht in der Verteidigung vor eindringenden Krankheitserregern ist, könnte sich Vitamin A als sinnvoll in der Prävention von Infekten erweisen. In einer Grundlagenarbeit werden die physiologischen Zusammenhänge zwischen Vitamin A und der Regulation der Schleimhautimmunität umfassend dargestellt [11].

Auch zu Vitamin A gibt es klinische Studien zu urologischen Indikationen. In einer kleinen Studie erhielten 74 Mädchen mit einem Durchschnittsalter von 5,25 Jahren und akuter Pyelonephritis Vitamin A oder Placebo [12]. Beide Gruppen erhielten Antibiotika, das Verum bestand aus 1.500 IE Vitamin A pro kg Körpergewicht täglich (max. 50.000 IE). Die Fieberdauer betrug 1,3 Tage unter Vitamin A, aber 2,8 Tage unter Placebo. Die Nahrungsverweigerung dauerte 2,3 Tage in der Vitamin A-, aber 4,2 Tage in der Placebo-Gruppe. In einem Kontrollscan mit 99mTC-DMSA wurden bei Einnahme von Vitamin A 22 % Verschlechterungen der Läsionen im Vergleich zu 45 % unter Placebo gefunden.

In einer anderen Studie erhielten 24 Patienten mit rezidivierenden unkomplizierten HWI additiv zu Antibiotika einmalig 200.000 IE Vitamin A oder Placebo [13]. Nachfolgend reduzierten sich die Infektraten pro Halbjahr von 3,58 auf 0,75 und 1,75, während diese in der Placebo-Gruppe mit 2,75, 2,83 und 2,66 praktisch unverändert blieben.

Zink - das "Immun-Mineral"

"Ein Schnupfen dauert ohne Behandlung sieben Tage und mit Behandlung eine Woche" - so habe ich es in meinem Studium vor 40 Jahren noch gelernt. Spätere Studien, die aber auch schon ein Vierteljahrhundert alt sind, haben diese "Weisheit" inzwischen eindrucksvoll widerlegt. So erhielten 100 Klinik-Angestellte mit beginnenden Erkältungssymptomen (erste Symptome maximal 24 Stunden alt) alle zwei Stunden 13,3 mg Zink oder Placebo solange sie krank waren (außer in der Nacht) [14]. Die Dauer bis zur völligen Symptomfreiheit betrug unter Placebo 7,6, unter Zink aber nur 4,4 Tage (p < 0,001). Auch bei einzelnen Symptomen wie Husten, Kopfschmerz, Heiserkeit oder nasale Verstopfung gab es ein signifikant schnelleres Abklingen in der Verum-Gruppe. Maßgeblich für die überlegene Wirkung von Zink scheint ein schneller Therapiebeginn, eine hohe Einnahmefrequenz und eine relativ große Dosis über mehrere Tage hinweg zu sein.

In einer Studie im Hinblick auf die HWI-Therapie erhielten 200 Kinder mit akutem HWI erhielten randomisiert, kontrolliert und doppelblind entweder 1 mg Zink pro kg Körpergewicht oder Placebo [15]. Bezüglich Frequenz des Wasserlassens, Dysurie und Harndrang hatten die Kinder mit Zink signifikant weniger Beschwerden.

Selen - das "Antioxidanzien-Mineral"

In einem Review in der renommierten Zeitschrift Nutrients stellen die Autoren fest, dass es 25 Selenoproteine gibt, die unter anderem die Funktion von Immunzellen reguliert [16]. Sie konstatieren, dass ein Mangel sowohl zu vermehrten Infektionen als auch zu vermehrter Autoimmunität führen kann. Ein optimaler Selenstatus verbessert die T-Zell-Proliferation, verstärkte die Immunantwort bei Impfungen und führt bei Infekten zu weniger starken Entzündungsreaktionen. Virale Infektionen erhöhen zudem den Nährstoffbedarf und den oxidativen Stress. Selen spielt eine wichtige Rolle in der antioxidativen Abwehr und erhöht die Pathogenität von Viren [17].

Omega-3 - die "Anti-Entzündungs-Fettsäuren"

Eine umfassende Übersicht über die Wirkungen von Omega-3-Fettsäuren auf das Immunsystem beschreibt vielfältige, regulierende Wirkungen [18]. In einem Review wird dargestellt, dass aus den Omega-3-Fettsäuren EPA (Eicosapentaensäure) und DHA (Docosahexaensäure) aus maritimen Quellen zahlreiche Hormonderivate entstehen, nicht jedoch aus Alpha-Linolensäure (ALA), etwa aus Lein-, Hanf- oder Rapsöl [19]. Diese Hormone sind unter anderem Prostaglandine der Klasse 3, Protektine, Maresine, Leukotriene und Resolvine, die alle immunregulierende Funktionen haben.

Konsequenzen - wie sollten wir uns schützen?

Die folgenden Empfehlungen sind aus der aktuellen Studienlage und aus klinischer Empirie abgeleitet, sind in dieser Komplexität aber nicht evidenzbasiert. Bei allen Angaben handelt es sich um Durchschnittswerte für einen normalgewichtigen Erwachsenen).

Prävention:

  • Vitamin D: 5.000 IE

  • Vitamin A: 3.000 IE

  • Vitamin C: 1,5 g

  • Zink: 15 mg

  • Selen: 100 µg

  • Omega-3 (EPA/DHA): 2 g

Akuttherapie während eines Infektes:

  • Zink: 15 mg alle 2 h am 1. Tag, dann 3 × tgl.

  • Vitamin C: 500 mg alle 2 h am 1. Tag, dann 3 × tgl.

  • Echinacea: alle 2 h am 1. Tag, dann 3 × tgl.

  • Vitamin D: 10 Tage 20.000 IE pro Tag, dann 10 Tage 10.000 IE pro Tag, dann mit 5.000 IE weiter

Mit einem solchen Programm könnte vermutlich so mancher Infekt vermieden oder zumindest abgekürzt werden.

Dr. med. Volker Schmiedel.

Homöopathie Paramed AG

Haldenstr. 1

6340 Baar, Schweiz

E-Mail: v.schmiedel@ paramed.ch

Angaben zum Vitamin-D-Spiegel.

Achtung: Der Vitamin-D-Spiegel kann in nmol/l oder ng/ml angegeben werden. Der Umrechnungsfaktor liegt bei 2,5 respektive 0,4.

Beispiele:

50 ng/ml = 125 nmol/l

100 nmol/l = 40 ng/ml

Supplementary Information

92_2021_4663_MOESM1_ESM.pdf (1.4MB, pdf)

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